Paulo E. Herkenhoff Filho

Zur Installation „O Céu Na Terra“ von Norbert W. Hinterberger
im Museu de Arte Moderna

Rio de Janeiro 1990

Norbert W. Hinterberger, als internationaler Zeitgenosse, zeigt einige typische Merkmale österreichischer Kunst, was das Ineinandergreifen von Ethos und Pathos betrifft. Er ist aber auch ein Künstler, der sich um das Verhältnis von Kunst und Architektur kümmert, indem er sich unter anderem mit der Entartung der bürgerlichen Architektur befasst. In seiner „Heimarbeit“ zeigt er zarte, im Parkettboden eingesetzte Intarsien, die ein Paar in erotischen Posen darstellt. Er integriert somit die Bilder in die Architektur, indem er auch die so genannte Ordnung umstürzt und das Leben eines kleinbürgerlichen Hauses enthüllt.

In der Ausstellung „Der Himmel auf Erden“ thematisiert Hinterberger die Beziehung zwischen den offenen Stockwerken, so wie sie im originellen Entwurf von Affonso Reidy vorhanden ist. In dieses Raumverhältnis, wo auch Höhen mitwirken, platziert er seine Arbeit. Vom dritten zum zweiten Stockwerk hängen Lote, an denen wiederum geschlossene Bücher angeknotet sind, die in einer aerodynamischen Form des Fliegens mächtige Dinge behandeln: Insekten, Vögel, Drachen, Ballone, Flugzeuge etc. Diese Lotlinien stellen die Arbeit Hinterbergers in direkten Zusammenhang zu der Architektur Reidys, wie im dritten Stockwerk des Kunstmuseums festzustellen ist, wo die Betondecke nicht auf Säulen, die vom Boden kommen, aufliegt, sondern durch vom Dach des Gebäudes kommende Stränge getragen wird. Das Lot führt noch mehr von der im Gebäude lebenden Gravitationsspannung nach unten ab. Unser Blick ist ein Lift, der diese Kenntnis transportiert.

Unter jedem Lot befindet sich eine Ansammlung von Dingen, die auf und in Rio fallen oder gefallen sind. Es sind 14 Gruppen verschiedener Herkunft und Ordnung: Wasser, Sand und Lehm, Steine, Äste, Palmblätter, tierische und menschliche Kleidung, Glas, Keramik- und Tonscherben, Holz, Metall, Plastik, Papier, Banknoten und der mit Steinen geschriebene Name Aida Curi, jenem Mädchen, das 1958 aus dem achten Stock geworfen wurde. Die 14 kreisförmigen Haufen bilden ein Rechteck und zeigen eine Enzyklopädie der Wissenschaft und der Museumskunde, die dichterisch zusammengestellt wurde.

Norbert W. Hinterberger stellt gewissermaßen die Architektur des Museums in Rechenschaft – eine künstlerische Intervention, die an diesem Museum Tradition hat. Logischerweise liegt der Anziehungspunkt für Hinterberger nicht im artistischen Guerillakampf gegen eine Museumsinstitution, als dessen Symbol das Gebäude gelten kann, wie dies in den Zeiten der Ideenrevisionen der 60/70er Jahr forciert wurde. Für Hinterberger hat dieser architektonische Raum eine ganz eigene Geschichte. Es ist das Leiden des Gebäudes und sein aus den Flammen kommendes Erbe (1). Es ist die Schuttproduktion und die materielle Transformation der Betonstruktur mit dem Auftreten eines Regenloches. Der Künstler denkt an das Feuer, die danach kommende erste Restauration und die noch fertig auszuführende zweite.

Wahrscheinlich sollte „Der Himmel auf Erden“ als Filmtitel gedacht sein, wie das „Inferno im Tower“. Hinterberger weiß, dass das Meisterwerk Reidys als utopischer Kunstraum und idealistischer Ausdruck des Fortschritts eine ewige Gegenüberstellung mit der Geschichte lebt. Das Werk Hinterbergers denkt sich nicht autonom vom Gebäude los. So ist es auch nicht demselben Tribut pflichtig. Im Gegenteil, es dringt zu einer Annäherung. Es ist ein Blick, der die Konstruktion durchschaut und sie auf den Kopf stellt, indem er eine Beziehung mit den in der Stadt gesammelten Objekten herstellt und wo sogar andere Architekturgegenstände zu finden sind. Die Installation Hinterbergers baut auf die Dynamik der Tatsachen auf: was vom Gebäude selbst kommt und was über die Stadt Rio de Janeiro einfällt.

Das Wasser eines Regenloches im Museum, ein Teil eines Verputzes, ein Palmblatt, alles dies spricht von einem allgemeinen Gesetz: „Alles was hochgeht, fällt.“ Die Arbeit handelt von der Gravitation unter dem Gewicht der Erörterung des Künstlers. Alles fällt wie in einem Lebenszyklus: Knochen als Fragmente – Zeugen des Todes, Vogelfedern und Palmblätter als Evidenz, Indiz der Unfähigkeit des Menschen vor dem Rasen der Zeit in den Ruinen der Momente. Alles fällt im gleichmäßigen und unaufhörlichen Rhythmus des Regenloches. Alles fällt in der Stadt der Erdrutsche, der Zusammenbrüche und Abtragungen. Alles fällt, sogar der Tauschwert in der Konjunktur der Superinflation, durch das zum Abfall werdende Geld. Alles fällt in der sozialen Dekadenz, unter dem Vorwand eines Vandalenaktes oder eines Mordes. Aida Curi ist ein Name, Bezugspunkt eines Körpers, der nicht auf dem Gehsteig der Avenida Atlantica liegt, noch sonst in der Gefrorenheit einer Aufnahme lächelt. Im Himmel auf Erden gibt es kein Drama.

Das Lot ist das Indiz eines Falles. Seine Linie markiert gespannt die Route des Blickes auf die Gravitation. Das Lot jedoch ist auch ein Pendel, das Bewegung in die Spannung zwischen dem Gewicht des Fallenden und den Büchern bringt, die jetzt zu fliegenden Objekten geworden sind – Transport des Wissens über Wesen, die zu fliegen imstande sind. Flug und Fall prallen in der Dynamik der Dinge aufeinander, wie in einem Kampf zischen der Wahl und dem Schicksal. Der Blick durchlebt symbolisch das Drama des Ikaros. Die Lotlinien bilden durch ihre Anordnung im Gebäude, durch Gleichmäßigkeit und Symmetrie eine Kolonnade, das Prinzip der klassischen Architektur, die auch im Museum für Moderne Kunst anzutreffen ist. Der rechteckige Grundriss gewinnt an Freiraum, es wird eine Architektur der Leere und des Ungreifbaren gebaut, da man die Gravitation nicht sieht, sondern nur durch die vorgenommene Gliederung empfindet. Im linguistischen Sinne ist der „Himmel auf Erden“ blau und schreibt sich in lateinischer Sprache. „O Céu na Terra“ steht für das Träumen, während der „Himmel auf Erden“ auf deutsch formuliert und schwarz geschrieben in Bodennähe endet – unter dem Gewicht der praktischen Ordnung weicht der Verstand.
Hinterberger konstruiert und baut mit dem Fallen auf, sein Prinzip der natürlichen Ingenieurwissenschaft macht die Architektur des Carioca zum Haus des weißen Mannes (2).

Die Objekte von „Der Himmel auf Erden“, in vierzehn Gruppen geteilt, organisieren sich wie in einer Skala der Natur und ihrer Reiche, bis hin zur Interferenz des Menschen mit seiner Arbeit, seiner sozialen Aneignung und innerpersönlichen Verhältnisse. Hinterberger sammelt, was in Rio vom Himmel fällt, was sich beim Nicht-mehr-Gebrauch loslöst, Reste der Natur, Fragmente der menschlichen Gebrauchsgegenstände, Ruinen der Stadt, verlorenen Geldwert (vielleicht ist dann das Geld als Wertgegenstand der Abfall des Unwertes), das Gedächtnis der Nachrichten.
Dieser Pseudo-Abfall hat weniger Expressionskraft als vielmehr konstruktive Funktion. Der Künstler macht keine Ästhetik aus Abfall, mit Geschmackskrieg oder Dramatisierung von Resten. Hinterberger arbeitet mit der Sparsamkeit der Körper.

(1) Im Jahre 1978 vernichtete ein Großfeuer sämtliche Bestände des Museums und hinterließ schwere Bauschäden.
(2) „Carioca“, der Name für Rios Einwohner, bedeutet in der Indianersprache Tupi „Haus des weißen Mannes“.

aus:
Norbert W. Hinterberger: Der Stand der Dinge. Ausstellungskatalog.
(Linz: Galerie im Stifterhaus, 1992).

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